Behindert in Österreich: Bürokratie als Hürde

Behindertenanwalt Dr. Erwin Buchinger und Obmann Mag. Jürgen E. Holzinger im Interview mit Standard.at

In Österreich wird nicht wenig Geld für Menschen mit Behinderung ausgegeben. Bei den Betroffenen kommt es aber oft nicht an.

Behördliche Willkür

Darüber sind sich eigentlich die meisten Experten einig: Geht es um die finanzielle Unterstützung und Förderung von Menschen mit Behinderung, läuft in Österreich nicht alles falsch. Geld, zum Beispiel, sei eigentlich vorhanden.

Die Gesamtausgaben für Behindertenhilfe von Bund und Ländern belaufen sich jährlich auf rund sechs Milliarden Euro und stellen damit den viertgrößten Posten im heimischen Sozialsystem dar. Was aber alle beklagen: Wie Betroffene zu ihrer Unterstützung kommen, gleicht bürokratischer Schikane. Die Millionen versanden in den föderalistischen Wirren. „Es mangelt an einer klaren Zuständigkeit. Hilfsmittel oder Therapien können vom Bund, vom Land, von den Gemeinden, den Kranken- oder Pensionsversicherungsträgern gefördert werden oder auch von mehreren Anlaufstellen in Kombination.

Da blickt niemand wirklich durch“, sagt Buchinger, dessen Anwaltschaft selbst Teil des Sozialministeriums ist. Darüber hinaus gebe es gravierende Unterschiede zwischen den Bundesländern, was in welchem Ausmaß bewilligt wird und was nicht.

Sehr viele Anträge

Ein behinderter Jugendlicher, der weder sprechen noch hören kann, müsse etwa sechs Anträge stellen, um einen Sprachcomputer zu bekommen, erklärt Jürgen Holzinger von der Organisation Chronisch Krank. „Jeder wird verstehen, das ist ihm einfach nicht möglich.“ Holzinger, dessen Verein Menschen bei der Antragsstellung unterstützt, kennt viele Beispiele für die Problematik.

Er muss nur von seinen vergangenen Arbeitstagen berichten, um sie verständlich zu machen: Da wandte sich eine Frau mit schwerer körperlicher Behinderung an ihn, der unrechtmäßig ein Kuraufenthalt nicht bewilligt wurde; eine Familie, Vater geistig behindert, ein Kind im Rollstuhl, habe Geld aus dem genau für solche Fälle eingerichteten Notfallfonds gebraucht und nicht bekommen. „Selbst, wenn sich Betroffene an die richtigen Stellen wenden, werden sie häufig abgewimmelt – in der Hoffnung, dass die sowieso keinen Widerstand leisten.

Wenn wir dann als Verein den exakt gleichen Antrag noch einmal stellen, wird er plötzlich bewilligt. Es herrscht Willkür. Diese könnte nur durch einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen beseitigt werden“, sagt Holzinger.

Föderalismus-Problem

Die Notwenigkeit, die Situation zu verbessern, fordern nicht nur seit Jahren sämtliche Vereine, sie wurde auch von der Regierung erkannt. Eine zentrale Anlaufstelle für behinderte Menschen, die berät und dann den Papierkram erledigt, ist Teil des Koalitionsabkommens. Auf Anfrage, wie es um die Umsetzung steht, wird aus dem Sozialministerium ausgerichtet: „Daran wird gearbeitet.“ Hauptsächlich würden das aber die Länder mit den Sozialversicherungsträgern klären. Das Förderchaos ist aber bei weitem nicht der einzige Kritikpunkt. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist in Österreich seit dem Jahr 2008 in Kraft – umgesetzt wurde davon bis heute vieles noch nicht.

Der Kern des völkerrechtlich verpflichtenden Vertrags ist leicht erklärt: Menschen mit Beeinträchtigungen müssen staatlich geschützt und gefördert werden. Wie jeder andere verdienen sie ein selbstbestimmtes Leben. Buchinger ist überzeugt, einen wesentlichen Beitrag dazu würde der Ausbau der persönlichen Assistenz leisten – also des Systems, dass Menschen für jene Aufgaben des Alltags, die sie allein nicht bewältigen können, eine Person zur Seite gestellt wird, die sie unterstützt. Hilfe beim Zur-Arbeit-Fahren, Einkaufen, Putzen, Rechnungen-Einzahlen oder einfach dabei, ein Buch zu lesen.

Den gesamten Artikel von KATHARINA MITTELSTAEDT können Sie HIER nachlesen

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Behindertenanwalt Dr. Buchinger & Obmann Mag. Holzinger

 

Herr Peters, MSc. MBA, vom Verein „Wieso bekommt nicht jeder Beeinträchtigte das geeignete Hilfsmittel“ und Obmann Mag. Holzinger konfrontierten wieder einmal das Sozialministerium mit dem Missstand bei dringend benötigten Hilfsmitteln in Österreich.

Weiterhin müssen die Betroffenen mehrere Anträge auf Finanzierung der benötigten Kommunikationshilfsmittel stellen und bekommen meistens nur einen Anteil der Gesamtkosten ausfinanziert. Den Rest müssen sie entweder selber tragen oder halt bei verschiedenen caritativen Organisationen um Spenden „betteln“.

Erschwerend kommt hinzu, dass mehrere Kostenträger immer eine vorherige Saldierung der Hilfsmittel fordern. Dies betrifft übrigens nicht nur die Kommunikationshilfsmittel. Wir haben jetzt auch mehrere Versicherte, die an übermäßigem Schwitzen leiden und eine Iontophorese Therapie mittels eines Iontophorese Gerätes benötigen würden. Auch von diesen wird von z. B. der S-GKK, der KFA, der BVA und der W-GKK  verlangt, dass sie erst einmal saldieren und dann die saldierte Rechnung bei der Krankenkasse einreichen. Viele von den Versicherten sind aber nicht in der Lage, die Kosten für diese Geräte erst einmal aus ihrem normalen Einkommen zu tragen. Deshalb verzichten sie dann eher auf diese Therapie und ertragen halt weiterhin das übermäßige Schwitzen, was dann aber dazu führt, dass langfristige Krankenstände von den Krankenkassen in Kauf genommen werden.

Bei den Kommunikationshilfsmitteln ist es letztlich nicht anders. Auch dort verzichten viele Betroffene und/oder deren Verwandte auf diese Hilfsmittel, weil sie diese ja zuerst z. B. beim Sozialministeriumservice selber saldieren müssen. Somit bleiben halt die Betroffenen dann sprachlos, da sie sich ja auch nicht wehren können. Hier könnten Sie zumindest mal ansetzen und diese Saldierung der überwiegend Einkommensschwachen Betroffenen im Sozialministeriumservice beenden.

In dieser Hinsicht muss sich unserer Meinung nach unbedingt rasch etwas ändern. Zum einen müssen die Kommunikationshilfsmittel und auch andere Hilfsmittel vollkommen ausfinanziert werden und des Weiteren muss die überbordende Verwaltung, die mit der Bewilligung aller Hilfsmittel verbunden ist, endlich beseitigt werden. Die Hilfsmittelliste aus dem Jahre 1995 ist vollkommen veraltet und es wurde schon vor fünf bis sechs Jahren versprochen, dass diese überarbeitet wird. Das ist bis heute nicht geschehen. Es ist für uns unverständlich, dass dies so lange dauert und von staatlichen Stellen nicht bewältigt werden kann. Wir in Kooperation mit unseren Experten würden eine Überarbeitung innerhalb von zwei bis drei Monaten ohne Probleme schaffen. Allerdings würden wir dies natürlich nur gegen Bezahlung tun.

Wir ersuchen Sie daher dringend hier mit Nachdruck Lösungen im Sinne der chronisch kranken und beeinträchtigten Menschen zu schaffen. (12/2015)

 

Antwort des Kabinett von Sozialminister Rudolf Hundstorfer 

Zur Umsetzung der im Regierungsprogramm vorgesehenen zentralen Anlaufstelle für die Versorgung mit Hilfsmitteln für Menschen mit
Behinderung wurden von meiner Fachsektion bereits mehrere Gesprächsrunden abgehalten. Insbesondere wurde mit den in diesem Bereich besonders stark vertretenen Sozialversicherungsträgern  im Wege des Hauptverbandes das Thema bereits mehrfach diskutiert. Mit den ebenfalls involvierten Ländern wurde die Angelegenheit zuletzt auf der Landessozialreferent/innenkonferenz in Tirol erörtert. Dabei haben die Länder die im Bundesregierungsprogramm vorgesehene Einrichtung eines One-Stop-Shops für Hilfsmittel begrüßt und beschlossen, die bereits eingeleitete Umsetzung nach Kräften zu unterstützen.

Seitens des Hauptverbandes wurden bereits eine Arbeitsgruppe eingesetzt und Umfragen bei den Versicherungsträgern gestartet. Ziel ist es, ein Konzept für die Bündelung der Ressourcen für die Förderung der Anschaffung von Hilfsmitteln im Rahmen des Hauptverbandes auszuarbeiten. Der Hauptverband hat sich auch bereit erklärt, Verhandlungen der Länder mit der gesetzlichen Sozialversicherung zu initiieren.

Wie Ihnen bekannt sein wird, hat mein Haus im heurigen Jahr im Bereich der Politik für Menschen mit Behinderung insbesondere die Förderung der beruflichen Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt und das Thema „umfassende Barrierefreiheit“ als Schwerpunkte seiner Tätigkeit. So werden heuer mehr als 170 Millionen Euro für Maßnahmen des Sozialministeriumservice in Zusammenhang mit der Beschäftigungsoffensive für Menschen mit Behinderung aufgewendet werden. Dieses Fördervolumen wird auch im Jahr 2016 jedenfalls zur Verfügung stehen.

Im Hinblick auf das Ablaufen der Übergangsvorschriften des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes wurde im Sommer eine breitangelegte Informationskampagne zur Barrierefreiheit gestartet. Auf einer eigenen Homepage „österreichbarriefrefrei.at“ werden ausführliche Informationen insbesondere für UnternehmerInnen bereits gestellt.

Kabinett des Sozialministers (12/2015)

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Kontaktieren Sie uns wenn Sie Unterstützung benötigen! LG Team ChronischKrank

2 Antworten

  1. Ich habe MS sekundär progredient ich bekomme von der gkk 14 mal für tehrapien bewilligt aber nur mehr einmal pro woche am anfang habe ich zweimal pro woche gehn können was mir gut getan hat was kann mann da machen mfg

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